Projektübersicht
Projektziel
Das Projektziel ist die praxisnahe Erprobung einer kurativen Netzführung in Höchst- und Hochspannungsnetzen. Die Zielsetzung lässt sich unter Berücksichtigung spezifischer inhaltlicher Aspekte in fünf Teilziele untergliedern. Übergreifend werden die Wirkungsketten und zugrunde liegende Mechanismen auf Leitsystemebene sowie Stations- und Feldebene zur konkreten Umsetzung von kurativen Entlastungsmaßnahmen im (n-1)-Fall im Netz untersucht und prototypisch erprobt (Teilziel I). Da die Bestimmung, Validierung und Bewertung von kurativen Maßnahmen hohe Anforderungen an Quantität und Güte von erfassten Netzzuständen stellen, wird die Zustandserfassung als weiteres Teilziel adressiert (Teilziel II). Um die physikalischen Grenzen des Systems exakt abzubilden und das Höherauslastungspotential geeignet nutzen zu können, werden Funktionsmuster zur Stromgrenzwertermittlung und Ersatznetzmodellierung untersucht und prototypisch umgesetzt (Teilziel III). Ergänzend dazu werden Assistenzsysteme unter Berücksichtigung stationärer und dynamischer Netzsicherheitsrechnungen für den Online-Betrieb erprobt (Teilziel IV). Die systemische Betrachtung eines kurativen Engpassmanagement wird mit besonderem Fokus auf Wechselwirkungen zwischen Übertragungs- und Verteilnetz fokussiert (Teilziel V).
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Feldtest I
Bei der kurativen Systemführung wird die dauerhaft zulässige Strombelastbarkeit (engl. permanent admissible transmission loading, PATL) temporär überschritten wird. Hierfür wird die thermische Trägheit von Betriebsmitteln ausgenutzt. Für die Bestimmung der temporären Strombelastbarkeit (engl. temporary admissible transmission loading, TATL) sind neben dem temporär thermischen Engpassstroms der Betriebsmittel auch externe Limitierungen, systemische Limitierungen und der Schutzengpassstrom zu berücksichtigen.
In diesem Feldtest wird der temporäre thermische Engpassstrom der Leiterseile für ausgewählte Stromkreise berechnet. Die Berechnung erfolgt anhand realer Mess- und Prognosedaten. Feldtestteilnehmer sind TransnetBW, TenneT und PSI.
Das Ziel des Feldtests ist eine statistische Auswertung über die Vorhersagbarkeit des temporären thermischen Engpassstroms. Daraus ergeben sich die folgenden Forschungsziele:
- Analyse des Mehrwertes durch die Nutzung von Auslastungsprognosen (DACF und IDCF) für die Vorbelastung gegenüber pauschalen Annahmen (z.B. 70%, 80% und 90% Vorbelastung).
- Statistische Analyse bzgl. des vorausgesagten zu tatsächlich eingetretenen temporären thermischen Höherauslastungspotential
- Bestimmung der geeignetsten Berechnungsintervalle (15 min, 30 min, 45 min oder 60 min).
Feldtest II
Im Rahmen von Feldtest II soll durch innovative Systemautomatiken der Einsatz von kurativen Maßnahmen zur Entlastung in den Hoch- und Höchstspannungsnetzen erprobt werden. Kurative Maßnahmen stellen hierbei im Voraus geplante temporäre Anpassungen dar, um vorhandene oder unmittelbar bevorstehende Überlastungen im laufenden Netzbetrieb teilautomatisiert zu beheben. Durch kurzfristige und intelligente Steuerung der Einspeiseleistung aus Erneuerbaren Energien in das Stromnetz können die Ströme nach Meldung eines tatsächlichen Betriebsmittelausfalls (extrem selten) gezielt und unmittelbar beeinflusst werden. So soll das Stromnetz zukünftig höher und effizienter ausgelastet und der Anteil an präventiven Redispatchmaßnahmen verringert werden können.
Für den Feldtest II wird parallele Leit- und Feldtechnik installiert, damit Netzdaten in Echtzeit vorliegen, die Maßnahmen allerdings nur auf dem Forschungssystem umgesetzt werden und der reguläre Netzbetrieb unberührt bleibt. Besonderer Fokus liegt hierbei auf der geeigneten Maßnahmenauswahl und der Auslösekette einer kurativen Maßnahme an der Schnittstelle zwischen den Projektpartnern TenneT TSO GmbH (Übertragungsnetz) und Schleswig-Holstein Netz GmbH (Verteilnetz). Durch die Unterstützung der PSI Software SE soll das konzipierte System auf Forschungsleitsystemen realitätsnah erprobt werden.
Demonstrator OVGU
Der Demonstrator an der OVGU ist für die Untersuchung von zwei Anwendungsfällen ausgelegt. Mit Hilfe einer Leitwarten-nahen Umgebung wird eine hybride State Estimation entwickelt. Um diese zu validieren, ist ein Echtzeitsimulator über gängige Kommunikationsprotokolle an die Leitwarte und die Entwicklungsumgebung angebunden. Dadurch können Latenzen berücksichtigt und viele unterschiedliche Szenarien untersucht werden. Weiterhin gibt es einen Anwendungsfall für Wide Area Monitoring Protection and Control. Dafür gibt es einen Hardware in the Loop Aufbau, der die komplette Signalkette zur Auslösung von kurativen Maßnahmen untersucht.
Laboraufbau IAEW
Mit dem Demonstrator des IAEW an der RWTH Aachen werden verschiedene systemische Aspekte der kurativen Netzbetriebsführung untersucht. Kernkomponente ist ein OPAL-Echtzeitsimulator, der sämtliche elektrische Größen im Stromnetz mit hoher zeitlich Auflösung abbildet. Auf diese Weise können sowohl stationäre Netzzustände im Demonstrator abgebildet und validiert als auch dynamische Phänomene untersucht werden. Insbesondere für Stabilitätsuntersuchungen im kurativen Netzbetrieb ist die Abbildung transienter Vorgänge notwendig. Weitere Module des Demonstrators bilden Prozesse der Betriebsplanung ab, wie beispielsweise die Berechnung von Engpassbehebungsmaßnahmen (präventiv und kurativ) und die dynamische Stabilitätsanalyse (offline DSA). Diese werden in einer Matlab/Simulink Umgebung ausgeführt und über eine Schnittstelle mit dem Echtzeitsimulator gekoppelt. Zudem wird auch ein Modul zur Online-Stabilitätsanalyse auf Basis des aktuellen Netzzustands (online DSA) im Demonstrator des IAEW erprobt.
Die folgenden Forschungsschwerpunkte sollen im Kontext der kurativen Netzbetriebsführung mit dem Demonstrator untersucht werden:
Optimierung von Engpassbehebungsmaßnahmen
Die Planung von präventiven und kurativen Engpassbehebungsmaßnahmen basiert auf umfangreichen Optimierungstools. Hierbei muss die Einhaltung der betrieblichen Grenzwerte sowie die operative Umsetzbarkeit der ermittelten Maßnahmen berücksichtigt werden. Da das Netz bei kurativen Netzbetrieb höherausgelastet und somit näher an seinen physikalischen Grenzen betrieben wird, müssen außerdem Konzepte zur Gewährleistung von Redundanz für kurative Maßnahmen berücksichtigt werden. Neben weiteren Fragestellungen im Bezug auf die operative Umsetzbarkeit der Engpassbehebungsmaßnahmen stellt die Gewährleistung von Redundanz für kurative Maßnahmen einen Schwerpunkt der Forschung dar.
Dynamische Stabilitätsanalyse (DSA)
Die Analyse der Systemstabilität wird aufgrund verschiedener Veränderungen im Übertragungsnetz zunehmend relevant. Im Rahmen des Projekts werden deshalb Tools zur Stabilitätsanalyse im Demonstrator des IAEW erprobt. Ziel der DSA ist es instabile Netzzustände sicher zu erkennen, damit gezielte Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Hierbei wird zwischen der Prüfung von Netzzuständen im Rahmen von Planungsprozessen (offline DSA) und der Stabilitätsprüfung des aktuellen Netzzustandes (online DSA) unterschieden. Für die beiden Verfahren ergeben sich unterschiedliche Anforderungen, sodass entweder detaillierte Analysen mittels RMS-Simulation oder vereinfachte Analysen mittels Stabilitätsindikatoren zum Einsatz kommen.
Äquivalenzmodelle für Verteilnetze
Zukünftig wird die Erzeugung elektrischer Energie zunehmend dezentral erfolgen. Die im Verteilnetz verorteten Erzeugungsanlagen gewinnen deshalb einen immer größeren Einfluss bei der Analyse der Systemstabilität. Aus Gründen der Rechenzeit und Komplexität ist eine detaillierte Abbildung von Verteilnetzen in dynamischen Simulationen des Übertragungsnetzes meistens nicht möglich. Ziel ist es im Rahmen von PROGRESS Äquivalenzmodelle für Verteilnetze zu erzeugen, die auch das dynamische Verhalten möglichst exakt nachbilden. Diese werden anschließend in die DSA eingebunden und im Demonstrator des IAEW untersucht.